"Erinnerung geschönt"

Constanze von Marlin, 2004

»Erinnerung geschönt« lautet der Titel einer Arbeit von Stefanie Busch aus dem Jahr 2003. Wie der Titel nahe legt, handelt es sich bei Erinnerung nicht um eine statische Konstruktion. Im Gegenteil, sie ist manipuliert, verblasst oder spielt mancherlei Streiche. In jedem Fall birgt sie nicht zuletzt für Künstler einen ungeheuren Quell schöpferischer Ideen. Dabei finden vergangene Ereignisse auf unterschiedliche Art und Weise Eingang in eine visuell ästhetische Form. Oftmals werden Erfahrungen in der künstlerischen Umsetzung auf ein persönliches Erleben, eine persönliche Sprache beschränkt. Stefanie Busch hingegen verwendet Motive, die über persönliche Assoziationen hinausweisen. Ihre Arbeiten zeigen Bilder, die Teil eines kollektiven Gedächtnisses sein könnten, weil sie eine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Dieser Aspekt ihrer Arbeit spiegelt sich in der Wahl der Medien wider: Fotografie, Film und Siebdruck sowie Folienschnitte, die auf der Grundlage von fotografischen Vorlagen beruhen. Fotografie und Film sind in heutiger Zeit zu Massenmedien geworden, die im privaten Gebrauch überwiegend dazu dienen, besondere Momente und Erlebnisse festzuhalten, also mit dem Konservieren von Erinnerungen assoziiert werden können. Gerade durch diese Analogie sowie die Wahl der Motive wecken viele Arbeiten von Stefanie Busch eigene, ganz persönliche Erinnerungen im Betrachter. Dieser Anknüpfungspunkt bietet einen emotionalen Zugang zu ihrer Kunst.

Wiederkehrende Motive im Werk von Stefanie Busch sind Birkenlandschaften, Wälder, Flussläufe, Seen, Gebirge, Vogelschwärme, Felder. Totalen und Detailaufnahmen wechseln dabei einander ab. In der künstlerischen Verarbeitung dieser anonymen Landschaftsbilder findet eine Verdichtung und zuweilen Abstraktion statt. Letztendlich sind sie Illusionen von Landschaften, deren Thema die Erinnerung ist. Die dreiteilige Arbeit »Erinnerung geschönt« vereint die unterschiedlichen Medien Fotografie, Film, Folienmontage und Licht. Ein kleiner Monitor zeigt Super8-Aufnahmen unterschiedliche Landschaften. Aufgezeichnete Bewegungen und der Filmschnitt erzeugen eine eigene Spannung, die ohne narrative Elemente auskommt und doch eine dichte Atmosphäre schafft. Neben vier Leuchtkästen zeigt eine großformatige Folienmontage den Blick auf einen See mit Schiff und Baumbestand. Es ist dies jedoch keine abgeschiedene Szenerie. Angedeutet sind architektonische Elemente, die auf ein Haus hinweisen, genauer gesagt darauf, dass das Beobachten der Landschaft vom Haus her geschieht.

Mit der Idee von Leuchtkästen spielt die Installation der Arbeit »Lichtung« (2003). Im Dunkeln werden Fenster zu Leuchtkästen. In zwei Erdgeschossfenstern zeigte Stefanie Busch eine Folienmontage mit Neonröhren hinterleuchtet. Bei dem Motiv handelt es sich um die Spiegelung eines Ausschnitts des gegenüberliegenden Straßenzugs mit Fassaden, die bis zum Dachfirst reichen. Doch die Reflexion im Fenster ist kein realer Ausschnitt der unmittelbaren Umgebung, etwas wirkt irritierend daran. Nach und nach fallen Details auf, die mit einer naturalistischen Spiegelung nicht übereinstimmen. Die Künstlerin hat die Wirklichkeit gebrochen, indem sie mit einer Folienmontage in verschiedenen Graustufen sowie Weiß und Schwarz arbeitet, statt mit Farbe. Die Spiegelung entpuppt sich weiterhin als ein wohl komponiertes Bild. Diesem Bild fehlen jegliche temporäre Details, die nicht im Moment der Aufnahmen der Vorlage vor Ort zu sehen waren. So zum Beispiel das eigene Spiegelbild des Betrachters, das ja erst im Moment der Rezeption für eine kurze Dauer Teil der realen Szenerie wird. Doch Stefanie Busch führt den Betrachter noch weiter in eine imaginäre Welt, denn in den Fenstern der Folienmontage spiegelt sich ein Gebirge. Es erfordert keinen zweiten Blick auf die andere Straßenseite, um die Absurdität dieses Bildes zu begreifen. Plötzlich setzt ein Strom von Assoziationen und Sehnsüchten ein. Im 18. Jahrhundert galten die Alpen als Ausdruck der Theorie des Erhabenen. Quelle für das Erhabene war alles, was die stärksten Gefühle von Schmerz und Angst hervorrufen konnte. Um das Gefühl des Erhabenen in eine ästhetische Erfahrung aufzuheben, bedarf es angesichts von Gefahr und Tod das Wissen um die Sicherheit des eigenen Lebens. Die Arbeit »Lichtung« spielt mit dieser philosophischen Idee, indem die Naturgewalten des Gebirges nur als Reflexion und Imagination Realität gewinnen.