"Erinnerungen geschönt"

Mathias Wagner, 2006

Die Bildwelt der Dresdner Künstlerin Stefanie Busch ist Schwarz – Weiß. Konsequente „Farblosigkeit“ als formales Prinzip ist der Ausgangspunkt ihrer Kunst. Der Verzicht auf Farbe stellt eine besondere konzeptionelle und bildnerische Herausforderung dar, die den grafischen Künsten seit Jahrhunderten vertraut ist. Die Textur des Bildes entsteht allein durch die Zeichnung, durch das Freilassen und Füllen des Grundes, wobei auch die leeren Stellen bildhaft werden. Das Kolorit im Wechselspiel von Licht und Schatten wird zwischen den Polen Schwarz und Weiß durch beliebig viele Graustufen simuliert.

Stefanie Buschs bevorzugtes Medium ist der Siebdruck. Ihre Druckvorlagen sind manuell ausgeführte Papierschnitte. Damit steht sie strenggenommen in der Tradition der grafischen Techniken. Doch ihre Bildsprache ist zugleich wesentlich von Fotografie und Film beeinflusst. Eigene Fotos bilden die Basis aller Arbeiten. Die gewählten Motive sind in der Regel heimatlos, auch wenn sie einen konkreten Gegenstand, einen bestimmten Ort oder ein persönliches Erlebnis aufgreifen. Die Gebirgslandschaften, Wälder, Seen, Vorstadtstraßen und Vogelschwärme sind nicht Objekte einer ästhetischen Aufbereitung oder Bestandteile gefühlsbetonter Sehnsuchtsbilder. Sie stellen vielmehr das geeignete Material für die Analyse des zwiespältigen Charakters von Erinnerungs-Bildern. Oft sind es Bilder, die jeder zu kennen meint, weil sie trotz ihrer individuellen Genese seitens der Künstlerin auch Teil eines kollektiven Bildgedächtnisses zu sein scheinen. Diese bereits in der Motivauswahl angelegte Tendenz zum visuellen Konsens wird durch die sachliche Strenge des Schwarz-(Grau)-Weiß noch verstärkt. Die Landschaften und Straßen, die uns gezeigt werden, wirken vertraut. In ihrer distanzierten Stille sind die Bilder auf eigenartige Weise der Gegenwart entrückt und evozieren zugleich emotionale Wertungen, mit denen wir auch unsere Erinnerungen gern klassifizieren. Doch die Erinnerung trügt bekanntlich. Sie ist keineswegs statisch, sondern wird im Moment des Gedenkens jedes Mal neu formatiert, wobei sie der psychologisch stimulierten Manipulation unterliegt, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Die Erinnerung entpuppt sich nicht selten als Projektion. Und genau dieser Ambivalenz ist Stefanie Busch auf der Spur. Ihren Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der erinnerten Bilder verleiht sie durch Werktitel wie Erinnerung geschönt, Panik oder High Noon Ausdruck, die dem Augenschein entschieden widersprechen. Diese Irritation ist nicht nur nominell, sondern tritt auch in den Bildern selbst subtil in Erscheinung: Die Landschaft, von der man glaubte, sie schon mal gesehen zu haben, erweist sich als topografische Collage, die mit unseren Vorstellungen von Idylle spielt. In den Fenstern eines städtischen Mietshauses spiegeln sich absurderweise schneebedeckte Berge. Und auf einem Hochgebirgsplateau begegnen wir einer jungen Frau in leichter Alltagskleidung.

Die vordergründige Plausibilität, die diesen Bildern eigen ist, beruht auch auf ihrer materiellen Präsenz. Seit einigen Jahren präsentiert Stefanie Busch die im Siebdruckverfahren hergestellten transparenten Folien vorzugsweise in Leuchtkästen. Das Licht verleiht der schwarz-weißen Strenge Brillanz und imaginiert zugleich einen dreidimensionalen Bildraum. Aber die makellose, fotografisch anmutende Oberfläche erweist sich bei genauerer Betrachtung nur als schöner Schein. Dahinter verbirgt sich eine handgemachte formale Struktur. In einem aufwendigen Prozess - der mit der Technik des verlorenen Druckes beim Holzschnitt vergleichbar ist – schneidet die Künstlerin in mehreren Schritten ihre Motive aus der Folie. Schicht für Schicht wird das Bild im Druck zusammengesetzt. Am Anfang steht die leere weiße Fläche, am Ende folgt aus der vielfachen Überlagerung der Graustufen das Schwarz. Die rauhen Spuren der Schere sind auch noch im fertigen Druck sichtbar und verweisen auf den fragilen Status der vorgeführten Rück-Blicke.

Auch im Sediment unseres Gedächtnisses werden unablässig Bilder auf Bilder geschichtet. Bei der Archivierung kommt es allein schon aus Kapazitätsgründen zu vielfältigen Transformationen. Neues legt sich über Altes, Unwichtiges gerät in Vergessenheit, Schönes ist unvergesslich, Unschönes wird ausgeblendet, Kompliziertes wird vereinfacht... Dennoch glauben wir unseren Erinnerungs-Bildern, auch wenn sie - ähnlich wie die Bilder von Stefanie Busch – im besten Falle immer wahr und unwahr zugleich sind.