Soziale Einheit - ein kollektives Familienportrait, seit 2006

Foto: Inga Paas
„Soziale Einheit“ heißt ein Ausstellungsprojekt von Jan Brokof, David Buob, Stefanie Busch und Jenny Rosemeyer.

Mit Hilfe von angedeuteten Einrichtungsgegenständen, veränderten und überspitzten Raumsituationen, Installationen, Geräuschen werden die Verstrickungen, Beziehungen, Sehnsüchte, Defizite innerhalb dieser kleinsten sozialen Einheit, der Familie dargestellt und hinterfragt. Dabei wird gänzlich auf Farbe verzichtet, um zu verfremden, um frei von Mode und bestimmten Zeiten zu sein, um an eigene Erinnerungen und Vorstellungen anzuknüpfen.

Bei diesem Projekt verschmelzen die Autorenschaften der einzelnen Künstler*innen.

Im Jahr 2006 fand die erste Ausstellung in einer Vierzimmer- Erdgeschosswohnung in Dresden statt: Mutter, Vater und zwei Kinder. Ein Jahr später, im Jahr 2007 zeigten wir das gemeinsame Leben der Mutter und ihrem nun erwachsenen Sohn mit Hilfe eines Zeitsprungs von 15 Jahren. Diese zweite Ausstellung fand in Zwickau im Rahmen der Ausstellung „Brühlette Royale-Peripherie als Zentrum“ statt. Neben kleinen Auszügen der „Sozialen Einheit“ in verschiedenen Ausstellungen beleuchteten wir 2012 in Neuwerder die Geschichte und Herkunft der Mutter und gingen zurück in ihre frühe Jugend.

Die Soziale Einheit ist als Langzeit-Projekt angelegt.


Von der Unmöglichkeit „Sozialer Einheit“

Susanne Altmann, 2007

Jan Brokof, David Buob, Stefanie Busch und Jenny Rosemeyer kooperieren wieder und verwandeln eine leerstehende Wohnung in Zwickau in eine fiktive Familienbiografie

„Soziale Einheit“ – das klingt erschwert nach einer uneinlösbaren Utopie. Schon der sozialistische Alltag hat das Postulat von der Familie als kleinstem und zentral-ideologisch steuerbaren Baustein der Gesellschaft ad absurdum geführt. Und die neuesten demografischen und mikrosoziologischen Entwicklungen in so genannten Zivilisationsgesellschaften zeigen, dass sich historische Vorstellungen von Familie radikal und rasant geändert haben. Hier sickern tiefgreifende Transformationen in das persönliche Erleben ein und werden zu empirischen registrierbaren Baustellen.

Für das Künstlerkollektiv Jan Brokof, David Buob, Stefanie Busch und Jenny Rosemeyer waren diese Entwicklungen ein willkommener Anlass, das begehbare (Auslauf)Modell einer Familie zu schaffen und dafür mit Selbstverständlichkeit einerseits auf eigene Erfahrungen zurückzugreifen. Andererseits bildete ihre 2006 auf der Kamenzer Straße in Dresden geschaffene Wohnungsskulptur „Soziale Einheit“ eine gekonnte Synthese von künstlerischen Strategien und Medien; gekonnt einmal mehr, als es sich hier um gleichsam selbstverordnete Auftragskunst im Dienste eines bestimmten Themas handelte.

In der Vierzimmer-Erdgeschosswohnung verdichteten sich die grafischen, malerischen, bildhauerischen und szenografischen Begabungen von vier KünstlerInnen zu einem Erlebnisraum, der ästhetische Qualitäten mit einem disziplinierten Konzept verband. Bindendes formales Kriterium war zunächst der Verfremdungseffekt des Schwarzweiß, durch den vermieden wurde, dass der transformierte Wohnraum zu einer Art kulturhistorischen „Museum des Alltags“ wurde. Die Holzschnitte von Jan Brokof, die Bildschichtungen von Jenny Rosemeyer, die medialen Szenarios von David Buob und die scharfen Schnittkanten von Stefanie Buschs Architekturen trafen konstruktiv aufeinander und multiplizierten sich. Jeder der Räume bot ein neues Psychogramm sozialer Differenz: angefangen vom verspielten Reich des jüngsten Sohns über die Teenagerhöhle der pubertierenden Tochter, über das abenteuerliche Wohnzimmer, in dem sich die Interessen der vier Bewohner wie Wucherungen verbanden bis hin zum nüchternen Schlafgemach der Eltern mit gegenständlichen Charakter-Miniaturen im Bereich der Nachtschränke.

Die im Titel versprochene „Soziale Einheit“ war bereits hier eine ähnliche Chimäre wie die unsichtbaren Kunstfiguren der Familienmitglieder. Die dennoch hart an der Realität operierende Fiktion wird nun in Zwickau in einer Zweiraumwohnung fortgeführt. Es hat allerdings ein Zeitsprung stattgefunden, während dem sich diese kleinste Zelle der Gesellschaft gemäß gängiger Prognosen aufgespalten hat: in Zwickau leben Mutter und mittlerweile erwachsener Sohn unter einem Dach nebeneinander her. Scheidung, Ortswechsel, und Entfremdung sind die Formeln, mit denen die Zwickauer Situation möbliert wird. Und wieder entstehen skulpturale und atmosphärische Charakterbilder, die im Grunde keines interpretierenden Kommentars mehr bedürfen. Willkommen im programmatischen Trugbild der „Sozialen Einheit“! 

für die Katalogzeitung zur Ausstellung “Brühlette Royal-Peripherie als Zentrum“, vom 7. Juli - 26. August 2007 in Zwickau